presseberichte
Süddeutsche Zeitung, 15. März 2011:
"Alles wieder Wut"
Lange haben sich die Atomkraftgegner wie einsame Rufer in der Wüste gefühlt – nun blicken sie fassungslos nach Japan
von Bernd Kastner
Ein Gockel. Durchs Telefon hört man ihn, irgendwo
im Hintergrund, sein Krähen klingt nach Wiese und Glück und
will so gar nicht zu diesem Tag passen. Sein Besitzer sagt, er habe sich
heute einfach raussetzen müssen, in die Sonne, weil er es nicht
mehr ausgehalten habe. Japan. Diese Bilder. Diese Nachrichten. „Es
wundert mich nicht“, sagt Bernhard Fricke, noch ganz dezent. Je
länger er aber redet, desto lauter und energischer wird er, und
irgendwann sagt er Worte, die politisch nicht korrekt sind, aber viele
Menschen zumindest denken: „Scheiß Atomenergie.“
Bernhard Fricke, einst Stadtrat in München, Gründer von David
gegen Goliath, war scheinbar verschwunden aus der Politik, dabei ist
er immer noch da, auch mit 60 Jahren. Wie bitter war es für ihn,
dass die Leute nichts mehr wissen wollten von seinen Aktionen, dass sie
in der Fußgängerzone einen Bogen um seine Infostände
gemacht haben, „ach der Fricke mit seinem Zeugs“. So formuliert
er es selbst. Und nun ist es eine Katastrophe, die ihm Recht gibt. Frickes „Zeugs“ war
immer auch die Warnung vor den Atom-Risiken. Nein, sagt er, Befriedigung
empfinde er jetzt keine. „Nur Wut“.
Wut. Man spürt sie in allen Gesprächen mit Menschen, die sich
seit Jahren in der Anti-Atom-Bewegung engagieren. In Garching sind sie
gegen den Forschungsreaktor aktiv, bei den Müttern gegen Atomkraft,
im Bund Naturschutz. Sie sagen Sätze mit vielen Ausrufezeichen,
und immer wieder hört man das eine große[…] Fragezeichen:
Wie weiter? Der Sprecher des Freisinger Bündnisses für den
Atomausstieg, Andreas Henze, empört sich über jene Politiker,
die den Atom-Gegnern vorwerfen, politisches Kapital aus der Katastrophe
zu schlagen. „Da könnt ich aus der Haut fahren!“ ruft
Henze. „Ich hoffe, dass einige Leute zur Besinnung kommen“.
Allein, fügt er hinzu, „überzeugt bin ich nicht“.
Das ist auch Ingrid Wundrak nicht. Sie, die für die Grünen
im Garchinger Stadtrat sitzt und in ihrem Garten Fahnen aufgestellt hat,
natürlich Anti-Atom-Fahnen, weil sie doch gleich neben dem Reaktor
wohnt, sie kann sich in Rage reden. Über die „Trägheit
und Dummheit“ der Menschen, die eine solche Technik duldeten. Vor
25 Jahren, als der Reaktor von Tschernobyl explodierte, als sie zum ersten
Mal so richtig die Wut gepackt hatte – ihre Tochter war da gerade
vier Jahre alt -, da sei sie „noch ganz euphorisch“ rangegangen: „Das
kapiert doch jeder.“ Um später festzustellen, dass es zumindest
die entscheidenden Politiker nicht kapierten. Während sie all ihren
Frust durchs Telefon schickt, ploppt mal wieder eine dieser Eilmeldungen
am Bildschirm auf: Die Regierung will die Laufzeitverlängerung womöglich
aussetzen. „Ich glaub denen nix“, sagt Wundrak.
Und doch: „Der Hebel ist die Politik“ sagt Gina Gillig. Tschernobyl
hat auch sie politisiert, sie hatte damals zwei kleine Töchter,
so ist sie zu den Müttern gegen Atomkraft gekommen. Die Bürger,
sagt sie, seien doch mehrheitlich gegen Atomkraft, nun müssten sie
auf die Straße gehen „und die Politiker mit demokratischen
Mitteln zu Einsicht zwingen“. So schlimm die Bilder aus Japan seien,
„Ein Déjà-vu: Damals Tschernobyl, heute Fukushima
„man darf sich jetzt nicht lähmen lassen“. Sie lebt
unweit von Garching, hat auch einen Garten. Dort hat sie wegen der Nachrichten
aus Japan jetzt zwei Anti-Atom-Transparente aufgehängt.
Aus dem Gefühl der Lähmung befreit sich am Montag gerade Rudi
Amannsberger. Das ganze Wochenende ist er von Radio zu Livetickern im
Internet hin- und hergewandert, er war „wie in einer Schockstarre“,
erzählt er, und nun, da er wieder in seinem Büro im Landtag
sitzt, bereitet er Aktionen vor. Er ist mitten drin in einem Netzwerk,
dass jetzt so aktiv wird wie lange nicht mehr. Amannsberger ist, wenn
auch ohne Mandat, der Atomexperte der Grünen-Fraktion, er kann die
widersprüchlichen Meldungen aus Japan deuten: Dieses Vertuschen
und Verschleiern, es sei die Masche aller Regierungen und Betreiber,
egal in welchem Land, sagt er.
Nicht jeder vermag in diesen Tagen mit lauten Worten seiner Wut Luft
zu machen. Trudel Meier-Staude zum Beispiel stockt die Stimme, als sie
erzählen will, was sie fühlt. Sie organisiert und koordiniert
im „projekt21Plus“ die Proteste, zum Beispiel die Busfahrt
vieler Münchner am vergangenen Samstag zur Menschenkette bei Stuttgart. „Wenn
man über Jahre…“, sagt sie, ehe sie sich entschuldigt,
weil die Stimme versagt. Vielleicht möchte sie rausschreien: Hättet
ihr uns doch geglaubt! Stattdessen sagt sie „Wahnsinn“, ganz
leise, und spricht von einem Déjà-vu: Damals Tschernobyl,
heute Fukushima. Es kommen ihr die Tränen, weil sie an die Menschen
denkt und wisse, wie aussichtslos der Kampf gegen Strahlen sei.
Bernhard Fricke, der heute im Chiemgau lebt und Bäume so mag wie
Tiere und Menschen, ist auch ein sensibler Mensch, aber vielleicht hilft
es ihm, seinen Ärger laut auszusprechen: „Tschernobyl hat
noch nicht gereicht!“ Warum es denn immer eine Katastrophe brauche,
um zur Vernunft zu kommen. Ach, die Vernunft. „Vergeblich“ sei
es gewesen, sagt Fricke, all die Jahre an diese Vernunft zu appellieren,
wie der Rufer in der Wüste habe er sich gefühlt. Dann hört
man wieder die Idylle um ihn herum, laut und deutlich. Der Hahn kräht.